Schab/shutterstock.com
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Weihnachten vor 30 Jahren war für Deutschland ein besonderes Fest, ein geeintes Fest, das viele Facetten auftat, die weder der Westen noch der Osten erahnen oder gar erhoffen konnten. Menschen, die jahrelang durch eine Mauer getrennt waren, durften nun wieder im Kreise der Familie ein Weihnachtsfest feiern und lang gepflegte Traditionen hegen.

Nun feiert dieses besondere Weihnachten Jubiläum. Grund genug, uns einmal zu erinnern. Vielleicht hilft uns das auch, das diesjährige Weihnachtsfest noch dankbarer zu erleben und noch einmal das Wir-Gefühl hervorzurufen, das damals wie eine Woge des Glücks durch alle deutschen Bundesländer schwappte.

Ich war 14 Jahre alt, als die Mauer fiel, und die Euphorie hing in der Luft, sie war überall spürbar, aber für mich nicht zu begreifen. Ich bin ein West-Kind, und zwar aus dem tiefen Westen, dem Ruhrgebiet. Ich hatte die Mauer noch nie gesehen, aber ich hatte viele Brieffreunde in der DDR. Sie schrieben mir jede Woche, und ich machte täglich voller Vorfreude unseren Briefkasten auf, um mich auf rosarotem Briefpapier mit den Mädels aus der DDR auszutauschen. Dass unsere Leben sehr unterschiedlich verliefen, war aus ihren Zeilen nicht zu erkennen. Ich, die sich gern in alles mit vollem Herzen stürzt, habe schmerzlich feststellen müssen, dass ich von einem Tag auf den nächsten keinen einzigen Brief mehr bekam. Meine Freundinnen hatten sich in Luft aufgelöst. Während ich Weihnachten 1988 noch Räuchermännchen und gepolsterte Holzhocker im Omi-Schick als Geschenkpakete bekam und eifrig Schokoladen oder andere Süßigkeiten gen Osten schickte, hatte es für mich an Weihnachten 1989 nicht einmal für eine Karte gereicht. Damals habe ich nicht recht verstanden, warum. Aber wenn ich mir die Erzählungen meiner heutigen Freunde anhöre, dann weiß ich es:  Alles, einfach alles, war plötzlich unheimlich spannend und erreichbar.

Unbekannter Fotograf, Reproduktion von Lear21, wikipedia.org
Unbekannter Fotograf, Reproduktion von Lear21, wikipedia.org

In einer Geschichte aus »Die Zeit« beschreibt Peter Borgmann, der damals Filialleiter eines MediaMarkts in Bayreuth war, wie sein Geschäft derart überlaufen war, dass er die Technik, speziell Fernseher, direkt vom Laster verkauft hat: 

»Ich habe damals das Geschäft meines Lebens gemacht.« ​

Auch bei Familie Scholz musste zum Weihnachtsfest noch ein Fernseher her. Claudia, heute 40 Jahre alt, erzählt mir von ihrem Technik-Ausflug in den Westen

»Weil unser Fernseher pünktlich zum farbenfrohen Weihnachts-Jahreswechsel Sperenzchen machte und somit ein möglicher technischer Boykott des ersten legalen deutschdeutschen Fernsehprogramms nicht auszuschließen war, musste kurzerhand auch noch ein neuer Fernseher her. Ein kleines Vermögen investierten meine Eltern in unsere erste westdeutsche technische Errungenschaft, und mit Ehrfurcht brachten wir das gute Stück Richtung Heimat.

Elzbieta Sekowska/ Shutterstock.com
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Die Rückfahrt gestaltete sich mehr als abenteuerlich. Forsch lenkte mein Vater unseren Trabi auf die Autobahn Richtung Osten – und über die Kasseler Berge. Weil das Auto sich aber bergauf mehr als quälte und jede Abfahrt mit angehaltenem Atem, angezogener Handbremse und bedrohlich stinkenden Bremsbelägen verbunden war, wurden wir schnell vom restlichen Verkehr auf den Standstreifen verwiesen. Demotiviert und in seiner Ehre als versierter Autofahrer verletzt, verließ mein Vater schlussendlich die Autobahn, und es ging gemäßigt heimwärts.

Auf dieser Fahrt entwickelte ich auch eine bis heute andauernde Resistenz gegen Reisekrankheiten jeglicher Form. Als Jüngste und Kleinste im Bunde wurde mir die Ehre zuteil, die Rückfahrt rückwärts anzutreten. Da der Kofferraum am Rande seiner Kapazitäten war, der Fernseher jetzt aber mit von der Partie war, wurde der Beifahrersitz kurzerhand umgedreht, der Fernseher eingepackt, und ich nutzte die Überbleibsel der Sitzfläche, um es mir so bequem wie möglich zu machen. Dass wir diese Fahrt unbeschadet überstehen würden, daran glaubten wir damals nicht. Am Ende lief alles glatt und wurde zu einem echten Abenteuer. «

Elzbieta Sekowska/ Shutterstock.com
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Astrid Buchholz hingegen war zur Zeit des Mauerfalls schon Studentin in Leipzig und mittendrin zwischen Protest und Parteibuch. Die Montagsdemonstrationen für Freiheit hatte sie live miterlebt, genauso auch den Aufmarsch der NVA-Soldaten, die versuchten, eben diese Proteste zu unterdrücken. Als ihr ein Lkw-Fahrer nach einer Party erzählte, dass die Grenzen auf sind, misstraute sie den guten Nachrichten und war sich gar nicht so sicher seien, ob es denn auch gute Nachrichten sind.

»An unserem Weihnachtsbaum hingen Kugeln, sehr bunte, kleine und große, und viel Lametta. Eine schillernde Spitze aus kreischbuntem und hauchdünnem Glas krönte die festliche Tanne. Alle Jahre wieder – alles, auch das Lametta. Wir hatten ja nichts. Nach Kräften beim Abschmücken geglättet oder als Knäuel verwahrt und wieder frisch auseinander gerupft, sorgten wir dafür, dass bei uns früher sehr, sehr viel mehr Lametta war. (Lange bevor ich Loriot kennen und lieben gelernt habe.) Es hing satt und schwer, auch schon mal als Knäuel zwischen den Zweigen. So war es immer, auch Weihnachten 1989. Anderes war anders.

Ich wollte gen Norden: Weihnachten bei der Familie. Ich freute mich schon auf die Zitronencreme meiner Oma. Doch der übliche Weg war plötzliche ein anderer. Lange Schlangen für einen Stempel, für ein Ausreisevisum im DDR-Personalausweis, überfüllte Bahnsteige, Wochenende für Wochenende habe ich versucht, nach Hause zu fahren, einen Zug Richtung Norden zu erwischen. Vergebens. Berlin lag auf halber Strecke, Westberlin auch, ohne Auto die beste Station auf dem Weg zum Begrüßungsgeld. Züge mit Menschen dicht an dicht, Säuglinge, die durch offene Zugfenster gereicht wurden, um auch nicht auf einen D-Mark-Pfennig zu verzichten. Fliegende Händler in der Grimmaschen Straße mit diversem Schnickschnack aus dem Westen, auch für Ost-Mark erhältlich. Dann endlich im Norden, die erste Fahrt mit dem Trabi nach Lübeck, begleitet von meinem dringenden Wunsch, keine Bananen durch das Autofenster gereicht zu kriegen. Ich mag diese Frucht nicht sonderlich und wollte sie nicht geschenkt bekommen, nur weil ich aus einer bestimmten Himmelsrichtung anreiste«

Elzbieta Sekowska/ Shutterstock.com

Carsten Heinke, heute Reiseautor und immer auf Achse, war damals 23 Jahre alt, als die Mauer fiel. 

»Der Abgesang des Landes, das bis dahin meine Heimat war, die merkwürdige Traurigkeit darüber, Angst und Ungewissheit, paarten sich mit unbeschreiblich großer Lust auf Leben und darauf, die süße, unbekannte Freiheit zu probieren.«

Erste Tat: einkaufen gehen. So wie alle.

Claudia durfte sich damals für zehn D-Mark etwas aussuchen. Was erst einmal wie ein Glücksmoment klingt, entpuppte sich zunächst als echte Herausforderung.

»In Göttingen angekommen, ging es daher geradewegs in die erste Spielwarenhandlung, die sich mir und meiner Schwester Katharina in den Weg stellte. Mit dem festen Willen vor Augen, die heiligen zehn Mark, die wir jeder ausgeben durften, kompromisslos und optimal in Rosa und Glitzer umzusetzen, marschierte ich schnurstracks in den Laden. Aber die Rechnung hatte ich ohne mein unwissendes Kinderherz gemacht. Erschlagen von so vielen neuen Eindrücken und ahnungslos dieser Farbenpracht ausgesetzt, war ich mit all der Auswahl gnadenlos überfordert. Bevor ich mich eine kleine Ewigkeit später dann endlich zu einer Entscheidung hinreißen konnte, kämpfte ich erst mal gehörig mit den Tränen. Der Trost kam in Form einer wunderschönen Puppe im rosa Kleid mit Glitzer im Haar und riesigen blauen Kulleraugen. Ich fühlte mich wie im Himmel auf Erden.«

Jürgen Ludwig/ Bundesbildstelle
Jürgen Ludwig/ Bundesbildstelle

Den Himmel auf Erden fand auch Carsten, denn er verbrachte »das Weihnachtsfest 1989 mit Freunden auf der Erfurter Krämerbrücke in meiner ersten selbst gekauften schwarzen West-Jeans. Ein Vorgeschmack auf eine Ära voller Lebensfreude. Nicht zuletzt, weil einer von den Wessis dort mein neuer Partner wurde.«

Und auch wenn das Weihnachtsfest 1989 nur ein Beiwerk der großen Ereignisse des Jahres war, so ist es doch ein besonderes Fest für das gesamte Land gewesen, an dem Kleinigkeiten einen unschätzbaren Wert bekamen. Und heute, wenn wir die Zitronencreme von damals am Heiligen Abend kosten, die Oma damals jedes Weihnachten mit so viel Liebe zubereitete, dann überkommen Claudia, Astrid und Carsten auch heute noch eine Woge des Glücks und die Erinnerung an das Weihnachten von damals. Drüben.