Bäckermeister H. Mueller bestreut vor Kursteilnehmerinnen den Weihnachtsstollen
Franz Lerchenmüller

Ein Hauch von Weihnacht liegt in der Luft, ein zartes Aroma von Zimt, Rum und frischgebackenen Keksen. Zwischen Mehlsilo, Semmelpresse und zwei langen, hölzernen Arbeitstischen wartet Henry Mueller in seiner Backstube auf die fünf Damen, die heute an seinem Backkurs teilnehmen.

Der „Original“ Dresdner Stollen 

In weißer Bluse mit aufgesticktem goldenen Dresdener-Stollen-Siegel und schwarz-weiß karierter Schürze serviert er noch schnell ein Glas Rotkäppchen-Sekt zum Warmwerden, dann geht es Hals über Kopf ins Thema. Ab jetzt, verkündet er, dreht sich alles nur noch um den Dresdner Stollen, jenes „Gebildgebäck“, das angeblich an das in eine Windel gehüllte Jesuskind erinnert. Dresdner Stollen darf sich nur nennen, was in der Stadt und ein paar Randbereichen gebacken wurde, bestimmte Zutaten-Kriterien erfüllt und damit zu Recht das Siegel der Schutzgemeinschaft Dresdner Stollen e.V. trägt.  

130 Dresdner Firmen sind dieser Vereinigung angeschlossen. Und in Sachen Produktschutz sind Groß und Klein sich einig: Es kann nur einen geben! Wer immer sich erdreistet, außerhalb Dresdens einen Stollen mit einem Bild des Goldenen Reiters, einem Relief der Frauenkirche oder einem Zusatz wie „nach Dresdner Art“ zu verzieren, bekommt zu Weihnachten nicht Süßes, sondern säuerliche Post vom Anwalt.
Mehr als drei Millionen Stollen wurden 2014 von Dresden aus in alle Welt verkauft. Genau so einer soll in den nächsten vier Stunden in der Backstube in Dresden-Langebrück entstehen.

Bäckermeister H. Mueller erklärt und zeigt die Zubereitung des Stollens

Die Historie des Stollens und das gewisse Aroma

Henry Mueller und seine Frau Ines haben „schon einmal etwas vorbereitet“. Mehl, Butter, Hefe und Milch stehen abgewogen parat, Rosinen wurden über Nacht in Rum eingeweicht und Orangeat, Zitronat und Mandeln gehackt. 

Nach Herstellung des „Hefestücks“, des Vorteigs, gibt der Hausherr einen kurzen historischen Abstecher: Der Stollen war einst ein Gebäck für die Fastenzeit vor Weihnachten und wurde, wenig appetitanregend, aus Wasser, Mehl und etwas Rübenöl zusammengeknetet. Genießbarer wurde es erst, als Papst Innocenz VIII. im 15. Jahrhundert den Sachsen erlaubte, ihren „Striezeln“, wie die Stollen auch hießen, Butter beizumischen. 

Doch jetzt sind die Gewürze dran. Vanilleschoten aufschneiden, Muskatblüte in den Teig geben – jede nimmt soviel, wie ihr zusagt. Bei echten Gewürzen besteht im Gegensatz zu künstlichen Aromastoffen keine Gefahr, den Teig zu „überaromatisieren“. Solch edle Spezereien konnte Hofbäckermeister Johann Andreas Zacharias vermutlich nicht zumischen, als er 1730 für das Zeithainer Lustlager, eine Heeresschau Augusts des Starken, seinen Riesenstollen buk: 1,8 Tonnen wog er und erinnert auf einem zeitgenössischen Stich an eine Boa, die ein Schwein verschlungen hat.

Für die bescheidenen Zweipfünder, die an diesem Sonntagmorgen entstehen, heißt es jetzt erstmal, den eigentlichen Teig zu kneten: „In der Mitte Druck geben“, zeigt Henry Mueller, „und nach außen arbeiten. Dabei den Ballen immer ein kleines Stück drehen. Beim Wirken entsteht Spannung um den Teig herum.“ Während der klebrige Pamps sich unter der Hand allmählich in eine elastische Masse verwandelt, wächst der Respekt vor den effizienten, sicheren Handgriffen des Meisters und vor dem Wissen der Handwerker um ihr Material, das sich im Laufe vieler Generationen herausgebildet hat. Sozusagen als Kür knetet Mueller noch mal schnell zwei Teigballen beidhändig gründlich durch.

Bäckermeister H. Mueller zeigt wie man die Stollen knetet

Das Beste kommt zum Schluss  – jede Menge Rosinen

Nun werden die restlichen Zutaten eingearbeitet: Mindestens 50 Prozent Butter oder Butterschmalz gehören in einen Dresdner Stollen, bezogen auf die Mehlmenge. Dazu 65 Prozent Sultaninen, 20 Prozent Orangeat und Zitronat sowie 15 Prozent Mandeln. Marzipan je nach Geschmack. Der wichtigste Bestandteil aber sind Rosinen. Damit darf kein Betrieb geizen, soll seine Ware nicht als „Schreistollen“ verrufen werden. So nannte man zu DDR-Zeiten Stollen, die so mager bestückt waren, dass die Rosinen, um miteinander ins Gespräch zu kommen, quasi über weite Entfernungen brüllen mussten. Saßen sie dagegen so dicht beisammen, dass sie fast unhörbar plaudern konnten, hatte man einen der begehrten „Flüsterstollen“ vor sich.
A propos DDR. Nicht immer waren, wie man weiß, alle notwendigen Waren des täglichen oder feiertäglichen Bedarfs zu haben. Die Lebensmitteltechniker aber zeigten sich erfinderisch: Aus grünen Tomaten bastelten sie etwa „Kandinat T“ und sparten mit diesem Zitronat-Ersatz dem Staat Devisen. 

Jetzt öffnet Henry Mueller den auf 190 Grad vorgeheizten Ofen und schiebt die sechs perfekten Teigrollen hinein. Eine kleine Fingerübung ist das für ihn: Ab November füllt er ihn jeden Tag nach der normalen Brot- und Brötchenproduktion mit exakt 96 Zwei-, Drei- oder Vierpfündern. Rund fünfzig Minuten backen die Stollen. Dann geht der Ofen auf. Und fünf braungebrannte Prachtkerle mit Rosinen-Sommersprossen lachen frischgebacken in die Welt. 

frisch gebackene Stollen aus dem Ofen

Noch heiß werden sie dick mit flüssiger Butter bestrichen, die jede Pore schließt. Anschließend siebt der Bäcker Puderzucker darüber, der sich mit der Butter zu einer feinen Kruste verbindet. „Zwei Wochen sollten sie ruhen. Dann darf kein Aroma mehr einzeln vorherrschen. Der Teig muss saftig sein, ohne schliffe Stellen.“ 

Mal ganz im Vertrauen, Herr Innungs-Obermeister: Wer backt heute eigentlich den besten Stollen Dresdens? Da strahlt Henry Mueller noch einmal ganz breit die Damen an und lacht über beide Ohren: „Das kann ich so nicht sagen. 

Konditorei Kreutzkamm Verkaufsfläche
Franz Lerchenmüller

Der Stollen-Backkurs

Die vierstündigen Stollen-Backkurse für bis zu sechs Teilnehmern finden nach Verabredung statt. Pro Person 75 Euro – und natürlich darf jeder am Ende seinen Zweipfund-Stollen mit nachhause nehmen.

Feinbäckerei Mueller, Hauptstr. 14, 01465 Dresden-Langebrück,
Tel.: 035201 70870, 
www.dresdner-striezel.de

Anreise:
Mit der Bahn ist Dresden über Aachen mit zwei- oder dreimaligem Umsteigen zu erreichen. Dauer zwischen 8 1/2 und 9 Stunden.
Mit dem PKW: Über Bremen oder Osnabrück, Hannover und Berlin nach Dresden. 

Info.

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